Vor Beginn der Weihnachtsferien und nach über drei Monaten Flipped Classroom in BwR war es an der Zeit, mit Hilfe eines Fragebogens ein erstes Feedback über die bisherigen Flipped Classroom Erfahrungen einzuholen und die Meinungen meiner Schülerinnen und Schüler zu erfahren.
Die erste Zwischenbilanz fiel in beiden Jahrgangsstufen annähernd identisch aus, weshalb ich in den Diagrammen die Zahlen nicht nach Klassen aufgeschlüsselt habe.
Klares Votum für den Flipped Classroom
Die spannendste Frage war die letzte im Fragebogen:
Wenn Du entscheiden dürfest, würdest Du lieber traditionellen BwR-Unterricht oder BwR nach dem Flipped Classroom Konzept haben?
Mit einer auch für mich überraschenden Mehrheit haben sich 50 von 54 Lernende für den Flipped Classroom ausgesprochen.
Begründungen für den Flipped Classroom waren etwa, dass man „gezielter mit dem Banknachbarn oder mit dem Lehrer lernen kann“ und sich die Videos „bei Bedarf mehrmals anschauen kann, zum Beispiel für die [Schemata]“. Von mehreren Schülern wurde auch genannt, dass es praktisch sei, sich die Einführung selbst anschauen zu können, wenn man krank oder in der Stunde einmal nicht da war.
Wenn man bei einer Übung gar nicht weiterkommt, kann ich direkt den Lehrer fragen, der es dann für mich erklärt. Zu Hause geht das nicht bei normalen Hausaufgaben.
Die Schülerinnen und Schüler schätzen offenbar auch die Kombination aus Erklärvideos und den passenden Übungen auf lernkiste.org zur Vorbereitung auf Schulaufgaben:
Das entscheidende Argument für mich war, dass man sich die Videos vor Schulaufgaben nochmal anschauen kann und dazu auf [Lernkiste.org] auch noch passende Übungen zur Verfügung stehen. Das hat mir beim Verstehen mancher Themen gut geholfen.
Dieses Ergebnis deckt sich auch mit den Antworten auf die Frage, wann die Videos eigentlich angeschaut werden. So gaben nur knapp 1/5 der Befragten an, sich ein Video nur einmalig für den Hefteintrag anzusehen. Die übrigen Schüler nutzen die Videos außerdem zum „Auffrischen“, wenn sie Übungen nicht verstehen und insbesondere zur Prüfungsvorbereitung.
Contra Flipped Classroom
Ein großer Nachteil des Flipped Classrooms, der von zahlreichen Lernenden genannt wurde, ist die fehlende Möglichkeit, unmittelbar bei der Erklärung (also beim Anschauen des Videos) Fragen stellen zu können. Manchmal würde es das Verstehen des neuen Themas erleichtern, wenn man direkt nachfragen könnte. Möglicherweise müssen die Erklärungen im Video noch ausführlicher werden oder mehr Vorwissen aktiviert werden, was jedoch die Videolänge deutlich erhöhen und den inhaltlichen Umfang steigern würde.
Bei den Lösungen zu Übungen in der Schule verstehe ich oft nicht, wie man da drauf kommt oder warum man das so macht und nicht anders.
In den Unterrichtsstunden haben die Lernenden ja jederzeit Zugriff auf die Lösungen, jedoch wird dort tatsächlich häufig nicht erklärt, wo die Zahlen herkommen oder wieso genau diese Formel verwendet werden soll. Bei Buchungssätzen stellt sich das Problem wahrscheinlich weniger, aber bei Textaufgaben, zum Beispiel zur Zinsrechnung oder zum Kreditwesen, ist dies weitaus problematischer.
Klassenregeln zum Arbeiten im Flipped Classroom nötig
Der einzige Aspekt, in dem sich die beiden Klassen unterschieden, waren Kommentare zur Lautstärke im Unterricht. Während eine Klasse bisher schon recht leise und diszipliniert in Partnerarbeit oder kleinen Gruppen Aufgaben löste, stieg der Lärmpegel in der anderen Klasse häufig so an, dass ich hier einschreiten musste.
Auch im Feedback-Bogen kritisierten einige Lernende dieser Klasse, dass es insgesamt zu laut sei und man das Gefühl habe, die anderen „überschreien“ zu müssen, um den eigenen Partner noch gut verstehen zu müssen. Die Lautstärke rührte zwar nicht daher, dass sich die Klasse nicht mit den Aufgaben beschäftigte und stattdessen Privatgespräche führte, aber durch so manches etwas lautere Organ beim Diskutieren einer Aufgabe wird dieser Teufelskreis vielleicht in Gang gesetzt.
Bei generell etwas lauteren Klassen müsste man zu Beginn des Flipped Classrooms gegebenenfalls gemeinsam etwas abgewandelte Klassenregeln erarbeiten, die alle Beteiligten auf ein rücksichtsvolleres und leiseres Arbeiten auch in Gruppen hinführen, und/oder ich muss als Lehrer hier deutlich schneller einschreiten, sodass eine für alle Lernenden angenehme Arbeitsatmosphäre herrscht, ohne Ablenkung durch einen zu hohen Lärmpegel.
Fazit: Flipped Classroom ist gut angenommen
Zusammenfassend nennen die Lernenden bei Fragen 1-4 von sich aus die vielen Vorteile, die der Flipped Classroom mit sich bringt und gaben ehrliche und hilfreiche Hinweise, was in der Präsenzphase selbst, an den Videos und der Arbeit in der Lernplattform noch verbessert werden kann. Obwohl ich selbst auch merkte, dass die Schülerinnen und Schüler im Unterricht zielstrebig arbeiteten und auch die ersten Prüfungsergebnisse schon (zum Teil deutliche) Verbesserungen zeigen, hätte ich nicht gedacht, dass das Feedback zum Flipped Classroom so positiv ausfällt!